Spoilerwarnung: Ich schreibe über die zentrale Idee des ausgezeichneten Romans „Der Dunkle Wald“.
Wenn es Aliens gibt, wieso finden wir sie dann nicht? Dieses scheinbare Paradoxon ist eines der spannendsten und häufigsten diskutierten der Sci-Fi. Leicht abgewandelt lässt es sich auf fast jede ihrer Thematiken anwenden:
- Wenn Zeitreisen in die Vergangenheit möglich sind, wieso hat davon noch niemand etwas mitbekommen?
- Wenn bemannte, interstellare Reisen wirklich möglich sind, wieso schaffen wir es nicht einmal bis zum Mars? (Der Durchmesser des Sonnensystems allein beträgt 2 – 3 Lichtjahre, wenn man die Oortsche Wolke, als ihre Grenze akzeptiert).
- Wenn es die perfekte Diktatur gibt, wieso hat sie noch niemand errichtet?
- Etc.
Das Schöne an der Sci-Fi ist jedoch, dass für jedes gedankliche Problem gleich mehrere Lösungsansätze existieren. Einer davon ist die sogenannte „Dunkler-Wald-Theorie“, die im gleichnamigen Roman von Liu Cixin behandelt wird.
Sie beruht auf der Annahme, dass Zivilisationen den Kontakt zueinander bewusst vermeiden, aus Angst dadurch ausgelöscht zu werden. Diesem Prinzip folgend, müsste eine entsprechend hoch entwickelte Zivilisation, eine andere vorsorglich auslöschen, sobald sie deren Standort erfährt.
Die vielleicht größte Stärke der Dunkler-Wald-Theorie ist ihre Ähnlichkeit zur Logik des Kalten Krieges. Wenn auf der Erde ein Gleichgewicht des Schreckens stattgefunden hat, wieso dann nicht auch im gesamten Universum?
Damit die Theorie Bestand hat, müssen jedoch eine Reihe von Annahmen zutreffen.
- Es muss möglich sein, eine Zivilisation mit einem Schlag auszulöschen
- Der Schlag darf nicht abgewehrt werden können.
- Der Schlag darf keinen Konter auslösen – auch nicht von einer 3. Partei
- Der Schlag darf nicht zurückverfolgt werden könnenKeine dieser Punkte wurde während des Kalten Kriegs vollständig erfüllt. Ein umfassender Atomangriff mit ballistischen Raketen kann zwar auch heute nicht abgewehrt werden, Teile davon jedoch sehr wohl – was die Wirkung des Vernichtungsschlages (zumindest etwas) abmildern würde.
Im Roman werden die Punkte folgendermaßen gelöst:
- Man sprengt die Sonne, um die der Planet des Ziels kreist (wenn das nicht wirkt, gibt es eine zweite Methode).
- Der Schlag wird von einem Raumschiff und nicht von einem Planeten aus durchgeführt.
- Andere Parteien sind zu weit weg, um einzugreifen, oder längst ausgelöscht.
- Es fliegen so viele Raumschiffe durch das All, dass man nicht sagen kann, wer geschossen hat.
Speziell die zweite Art, des im Roman beschriebenen Vernichtungsschlages, beginnt recht unscheinbar. Der Angriff wäre also recht leicht zu tarnen. Was ist aber mit den Raumschiffen selbst? Wieso sich mit dem Sprengen von Sonnen abmühen (ist relativ anstrengend), wenn man einfach Jagd auf feindliche (das heißt alle, in gewisser Nähe zur eigenen Heimat, befindlichen) Raumschiffe machen kann? Interessanterweise sind die im Buch beschriebenen Antriebe tatsächlich kaum zu tarnen. Somit sind deren Flugrouten zumindest teilweise rückverfolgbar.
Hierin liegt also ein Widerspruch: Um verhindern, dass man durch andere Zivilisationen entdeckt wird, muss man sich selbst (zumindest teilweise) offenbaren.
Tarnkappenraumschiffe wären eine Möglichkeit, den Widerspruch aufzulösen. Ihr Einsatz würde aber voraussetzen, dass ihre Erbauer ihren Gegnern technisch weit voraus sind. Das Prinzip des Kalten Krieges beruht jedoch darauf, dass sich beide Seiten mehr oder weniger ebenbürtig sind. Ansonsten gäbe es keinen Grund, den Feind nicht anzugreifen. Könnten sich alle Parteien perfekt tarnen, wäre ein Vernichtungsschlag wiederum nicht durchführbar.
Interessanterweise bietet der Autor in seinem nächsten Roman „Jenseits Der Zeit“ einen Ausweg aus diesem Dilemma: Einige Zivilisationen spielen eine Art galaktisches „Schiffe-Versenken“. Sprich sie „Schießen“ einfach das gesamte Universum kaputt, in der Hoffnung den Feind zu treffen.
Wenn man bedenkt, dass der Motivationsgrund hinter dem Gleichgewicht des Schreckens, das eigene Überleben ist, macht so ein Vorgehen allerdings recht wenig Sinn. Man befindet sich also in einer logischen Sackgasse. Dass dem so ist, wird auch beim Lesen von „Jenseits Der Zeit“ leider recht schnell deutlich. Eine Lösung dieses Dilemmas wird zwar ansatzweise angeboten, sie wirkt jedoch wenig überzeugend.
Spätestens hier drängt sich somit die Frage auf, ob die „Dunkler-Wald-Problematik“, zur Auflösung des Fermi-Paradoxons tatsächlich geeignet ist.
Eine „einfachere“ Erklärung wäre natürlich die Existenz von intelligenten Aliens einfach auszuschließen. Aber das ist ein Thema für einen anderen Beitrag.
Ich habe das Buch gerade durchgelesen und gleich mit dem dritten Band weitergemacht.
Ich finde die Theorie erschreckend einleuchtend und muss die hier geäußerte Kritik zurückweisen. Die unterschiedlichen Zivilisationen müssen sich nicht annähernd ebenbürtig sein, wenn man die im Roman erwähnte technische Explosion berücksichtigt. Auch eine weit unterlegene Spezies kann auf kurz oder lang zu einer Bedrohung werden, wenn sie sich unerwartet schnell entwickelt. Außerdem weiß die überlegene Zivilisation nicht wie fortschrittlich oder rückständig die andere Zivilisation ist.
Vielleicht war diese galaktische Supermacht früher der heutigen Erde sehr ähnlich und wurde selbst von einer anderen Macht angegriffen, hat überlebt und fortan alles Leben im Universum als potentiel gefährlich eingestuft.
In diesem Fall wäre es sogar möglich, dass es nur noch diese eine interstellare Zivilisation gibt und jede andere Zivilisation die einen gewisse technologisches Niveau erreicht auslöscht um sich heute oder in Zukunft selbst zu schützen. Wenn sich dieses Denken über Jahrmillionen in das Bewusstsein dieser Zivilisation gebrannt hat, wird es dem Individuum am Abzug ( falls dieser Vorgang nicht vollautomatisch abläuft) keinerlei Gewissensbisse verspüren, während es ein ganzes Sonnensystem voller Leben vernichtet. Möglicherweise wird es sogar als Held gefeiert, wie der Soldat, der den Terroristen erschießt, obgleich der einzelne Terrorist als solcher keine Bedrohung für die Menschheit als ganzes darstellt, aber er könnte sich mit anderen zusammentun oder zu Waffen kommen, die ihn zu einer Bedrohung gemacht hätten
Danke für Ihre Kritik zu meiner Kritik. Begeisterte Sci-Fi-Fans sind immer willkommen :).
In zumindest einem Punkt teilen wir die gleiche Meinung: Die Theorie ist bemerkenswert einleuchtend. Ein Gleichgewicht des Schreckens gab es schließlich auch im Kalten Krieg. Meiner Meinung nach ist dieses jedoch zu zerbrechlich, um von längerer Dauer zu sein. Erst recht, wenn die Anzahl der Akteure größer als 2 ist. Selbst wenn man vollkommen ruhig verharrt, kann man nicht ausschließen, dass die Sensoren einer überlegenen Zivilisation einen doch nicht orten. Eine technische Explosion ist zwar möglich, kann aber fortgeschrittenen Zivilisationen ebenfalls zu Gute kommen. Die Erde war beispielsweise selbst nach einer Phase starken Wachstums Trisolaris immer noch unterlegen, weil diese einfach uneinholbar weit vorne waren.
Was das fehlende moralische Dilemma angeht, stimme ich Ihnen ebenfalls zu. Ich denke das wird sogar im Buch an einer Stelle gut erklärt. Die Spieltheorie kennt leider keine Ethik.
Leider scheint Band 3 der Reihe bei den Kritikern in Summe deutlich schlechter angekommen zu sein, als Band 2. Zugegeben, ich selbst fand „Der dunkle „Wald“ auch besser als „Jenseits der Zeit“.