Komme ich mit Chemikern ins Gespräch, so frage ich gelegentlich, was die gefährlichste Chemikalie ist, mit der sie bislang gearbeitet haben. Als Antwort erhalte ich meistens den Namen eines Giftes (etwa Aflatoxin), einer ätzenden Substanz (vielleicht Pirhanalösung) oder einer Kombination daraus (möglicherweise Flusssäure). Manchmal werden auch Explosivstoffe genannt (zum Beispiel Pikrinsäure). Radioaktive Stoffe klammere ich hier bewusst aus, da deren Gefährlichkeit auf physikalischen statt chemischen Eigenschaften beruht. Aber Gefährlichkeit ist ohnehin ein relativer Begriff. Ich bin zwar noch keinem (vernünftigen) Chemiker begegnet, der Flusssäure als harmlos bezeichnen würde. Allerdings gibt es viele, die damit routinemäßig arbeiten.
Es existieren aber durchaus Substanzen, bei denen die Frage „Ist das sicher?“ durch „Warum um Himmels Willen?“ zu ersetzen ist. Eines der beeindruckendsten Beispiele schildert Derek Lowe in seinem ausgezeichneten Blog. Die Rede ist von Disauerstoffdifluorid, oder O2F2. Weit passender erscheint jedoch der Name FOOF, denn er gibt einen ersten Hinweis auf die wichtigste Eigenschaft dieser Substanz. Um es kurz zu sagen: (Fast) jeder organische, sowie die meisten anorganischen Stoffe, welche mit FOOF in Berührung kommen, entzünden sich spontan, oder explodieren. Zusätzlich ist die Chemikalie hochgiftig – wobei dies die geringste Sorge der offensichtlich recht furchtlosen Anwender sein dürfte. Allzu viele dürfte es ohnehin nicht geben. Wikipedia nennt keine praktische Anwendungsmöglichkeit von FOOF. Vermutlich liegt die Enzyklopädie mit dieser Einschätzung richtig. Zusätzlich zu seiner Reaktionsfreudigkeit limitiert auch die Instabilität von FOOF seine Einsatzmöglichkeiten. In der oben erwähnten Publikation wurde es bei 90 K (- 183° C) gelagert. 23 K mehr reichen bereits aus, um es zerfallen zu lassen. FOOF ist somit selbst für Anwendungen (Raketentreibstoffe?, ultimativer Fleckentferner?), bei denen das Wort „Sicherheit“ eher klein geschrieben wird, wenig geeignet.
Zeit für ein wenig Sci-Fi: Eine Möglichkeit die Stabilität eines Moleküls zu erhöhen, ist, es lange Ketten, mit sich selbst bilden zu lassen (Polymerisierung). Das vielleicht bekannteste Beispiel hierfür ist Polytetraflouroethylen. Tetrafluoroethylen selbst ist reaktionsfreudig und hochexplosiv. Bildet man daraus aber eine Kette, erhält man Teflon, welches für seine chemische Stabilität berühmt ist. Wie sähe es also mit PolyFOOF aus? Das Fluoratom (F) kann immer nur 1 chemische Bindung eingehen. FOOFOOF kann somit nicht produziert werden. Man müsste stattdessen mehr Sauerstoff (O) einbringen. Bei Wasser funktioniert dies bereits. So existiert neben HOH bzw. H2O auch HOOH bzw. H2O2. Damit ist aber noch nicht Schluss. Laut dieser Publikation wird bei HOOOOOOH bzw. H2O6 das Minimum an Stabilität erreicht. Bei längeren Ketten, sollte diese wieder ansteigen. Könnte die Grenze nach oben hin also offen sein?
Von F2O4 existiert immerhin bereits ein Wikipediaeintrag. Es wäre also möglich, dass noch deutlich längere Moleküle existieren. Bliebe nur noch die Frage „Warum um Himmels Willen?“ zu beantworten. Tatsächlich wären die Anwendungsmöglichkeiten von F2Ox wohl ebenfalls recht begrenzt – vielleicht allerdings etwas weniger, als jene von FOOF. Schließlich ist es das Fluor, das für einen Großteil seiner Reaktivität verantwortlich ist, denn es ist ein deutlich stärkerer Brandförderer als Sauerstoff. Dies führt dazu, dass ein Fluorfeuer Materialien zerstört, die eigentlich als nicht brennbar oder schon verbrannt gelten: Asche, Asbest, Beton, Wasser, Glas, etc. Der Begriff „nicht entflammbar“ bekommt durch Fluor eine neue Bedeutung verliehen.
Je stärker sich das Verhältnis zwischen F und O in Richtung O verschiebt, desto „harmloser“ sollte die Substanz also werden – zumindest so lange, bis sie spontan explodiert. Es sei jedoch angemerkt, dass F2O4 laut Wikipedia ein noch stärkeres Oxidationsmittel als FOOF ist – möglicherweise hat die Theorie also ihre Schwächen. Wie dem auch sei, es gibt tatsächlich bereits eine Chemikalie, welche die beiden zuvor genannten Eigenschaften (viel O, explodiert) in sich vereint: Flüssiges Ozon. Vielleicht wäre F2Ox eine mögliche Alternative hierzu. Nicht, dass es sonderlich viele Anwendungsgebiete für flüssiges Ozon gäbe. Aber immerhin.
1 Antwort zu “FOOOOOO…F?”