Wie jedes andere auch, so hat auch das digitale Zeitalter seine Licht- und Schattenseiten. Die Erkenntnis, dass sich heutzutage selbst wahnwitzige Ideen rasend schnell verbreiten können, gehört wohl zu letzterem.
Besonders deutlich wird dies angesichts der aktuell grassierenden Pandemie. So sorgte etwa der amtierende US-Präsident für Wirbel, indem er vorschlug, die Viruserkrankung durch die Injektion von Desinfektionsmitteln zu bekämpfen. Ob, oder wie sehr, er seine Aussage ernst gemeint hat, bleibt zweifelhaft. Unbestritten ist allerdings, dass es Menschen gibt, die solche „Ratschläge“ ernst nehmen – und das mehr, als gesund ist. Laut einem Bericht der New York Times kam es zu einem besorgniserregenden Anstieg von durch Reiniger und Desinfektionsmittel ausgelösten Vergiftungen. Gegenüber dem Vorjahr nahmen derartige Fälle für den Zeitraum von Jänner bis März um 20,4 % zu – gegenüber 2018 betrug der Anstieg 16,4 %.
Skeptiker mögen jetzt zu Recht einwenden, Trumps Aussage sei April getätigt worden und könne somit an diesem Trend nicht schuld sein. Das ist richtig. Richtig ist auch, dass Indizien für eine Korrelation nicht auf eine Kausalität hindeuten müssen.
Leider drängt sich jedoch noch eine andere Erkenntnis auf: Keine Idee, wie augenscheinlich schwachsinnig sie auch sein mag, scheint davor gefeit, verbreitet und in die Tat umgesetzt zu werden. Oder vielleicht doch?
Kann es ein Heilmittel gegen die COVID-19-Krankheit geben, dass so überwältigend hirnrissig klingt, dass niemand – wirklich niemand – in Versuchung kommt, es auch nur auszuprobieren? Angesichts eines Anstiegs von Anschlägen auf (vermeintliche) 5G-Masten fürchte ich, die Antwort auf diese Frage bereits zu kennen.
Aber so schnell aufzugeben, wäre ja langweilig.
Zunächst sei gesagt, dass ich mich auf die Einnahme von „Medikamenten“ beschränke. Heilungsansätze, wie das 24-stündige-Einbeinige-Herumhüpfen wären wohl dem durchschnittlichen „Querdenker“ tatsächlich zu aufwendig. Aber das wäre zu einfach.
Auch „Therapien“ die zwar wahnsinnig, aber auch undurchführbar sind, müssen ausgeschlossen werden. Das versuchte Schlucken von FOOF etwa würde in diese Kategorie fallen. Abgesehen davon, dass die Substanz den Anwender schneller „eliminieren“ würde, als das Virus, ist der Zugriff auf Chemikalien dieser Gefahrenstufe verständlicherweise recht eingeschränkt.
Gesucht wäre also ein Medikament, das relativ harmlos, aber möglichst unangenehm in der Anwendung ist. Wirkungslosigkeit kann als gegeben angesehen werden.
Am „vielversprechendsten wären wohl Substanzen, die schlicht und ergreifend ekelhaft sind. Etwas, dass man nicht einmal riechen will, will man in der Regel erst recht nicht schlucken.
Der vielleicht ungekrönte „Champion“ dieser Kategorie ist Thioaceton. Die Autoren E. Baumann und E. Fromm schrieben über diese Substanz 1889: „…Die Intensität des Geruches dieser Substanz übertrifft nach unseren Wahrnehmungen Alles, was in dieser Hinsicht von stark riechenden Stoffen bekannt geworden ist“
Starke Worte, vor allem, wenn man bedenkt, dass sie von Chemikern der (wortwörtlich) alten Schule kommen. In dem Dokument wird weiters von einer unbeabsichtigten Freisetzung der Chemikalie berichtet, die eine (teilweise) Evakuierung der Stadt Freiburg nach sich zog.
Inzwischen hat die Chemikalie einige Berühmtheit erlangt. Dazu wesentlich beigetragen hat mit Sicherheit der ausführliche Blogeintrag von Derek Lowe. Auch Randall Munroe hat sich in einem Artikel der New York Times mit Thioaceton beschäftigt.
Ob die Substanz tatsächlich die übelriechendste der Welt ist, lässt sich naturgemäß schwer überprüfen. Aber die Substanz hat zumindest unter chemieinteressierten Menschen einen gewissen Ruf. Den Anderen wiederum dürfte sie kein Begriff sein.
Vielleicht wäre dies also ein guter Kandidat für „Die dümmste anzunehmende Medikation“: Das Trinken von Thioaceton. Eine Chemikalie, welche (theoretisch) nicht sonderlich schwer herzustellen ist, von der aber jeder, der dies könnte Abstand nimmt. Einen Haken hätte diese Lösung jedoch: Es besteht nämlich Grund zur Annahme, dass der Gestank von Thioacetone im umgekehrten Verhältnis zu seiner Konzentration steht. Aber eine Verdünnung einer der übelriechendsten Substanzen des Planeten zu trinken, klingt immer noch ausgesprochen dämlich.