Prequels sind unnötig

Eine Frage in die Runde: Kennt irgendjemand eine Geschichte bei der das Prequel (ohne, dass das Medium geändert wurde) besser war als das ursprüngliche Werk?

Sicher man kann nun einwenden, dass geniale Werke naturgemäß selten sind und eine Wiederholung ihres Erfolges sogar noch mehr. Allerdings finden sich einige Beispiele für Fortsetzungen, die ihren bereits hochwertigen Vorgänger qualitativ sogar überboten haben: Terminator 2 erreicht auf Rotten Tomatoes einen Audience Score von 95 %. Sein Vorgänger dagegen „nur“ 89 %. (Zugegeben: Das Tomatometer vergibt für Teil 1 eine höhere Wertung. Allerdings umfasst die Publikumswahl sehr viel mehr Abstimmungen).

Wie sieht es bei Büchern aus? Der meist verkaufte Fantasyroman aller Zeiten, „The Lord of the Rings“ erhielt mit „The Silmarillion“ ein Sequel. Dieses hat sich nicht nur deutlich schlechter verkauft, sondern hat auch „nur“ eine Vier-Sterne-Bewertung bei Goodreads. Um im Genre zu bleiben: Die Fortsetzungen des ersten Harry-Potter-Romans erreichen ähnlich hohe Wertungen, wie Teil 1.

Heißt das, dass ein Prequel grundsätzlich an ein gelungenes Original nicht herankommen kann? Nicht zwingend, aber hier sind meine Argumente, warum dem trotzdem so ist:

  1. Eine gute Geschichte besitzt eine unerzählte Vorgeschichte
    Die Schatzinsel ist vielleicht der berühmteste Abenteuerroman. Sein zweiter Hauptcharakter, bzw. erster Antagonist prägt bis heute unser Bild eines (fiktiven) Piraten: Papagei auf der Schulter, Holzbein, Kapitänsuniform.
    Doch seinen Kultstatus verdankt Long John Silver nicht nur seiner Rolle in der eigentlichen Geschichte. Die Tatsache, dass seine Vergangenheit nur angedeutet wird, trägt entscheidend zum Mythos bei. Im Roman erfahren wir nur ansatzweise, wie sein Leben vor der großen Schatzsuche verlief: Er war Quartiermeister unter dem gefürchtetsten aller Piraten, Kapitän Flint. Wie Silver es schaffte, sich unter diesem brutalen Mann zu behaupten, bleibt jedoch im Dunkeln. Ansatzweise erfahren wir von der Grausamkeit Flints – etwa dass er nicht davor zurückschreckte, seine eigenen Männer zu töten. Doch der größte Teil seiner Lebensgeschichte bleibt unerwähnt. Und genauso soll es sein. Kapitän Flint ist jene mystische Gestalt, die Silvers Mythos erst ermöglicht.
    Im Falle von Star Wars wäre Anakin Skywalker diese Rolle im Bezug auf Darth Vader zugekommen. Bis man sich entschied, gleich 3 Prequels zu produzieren. Das Ergebnis ist bekannt. Und ja, es hat auch jemand ein Prequel zur Schatzinsel verfasst.
  2. Das Ende ist bekannt
    Dieser Punkt ist selbsterklärend. Eine Geschichte, mit bekanntem Ausgang, besitzt naturgemäß nicht den Reiz wie eine Handlung mit offenem. Erschwerend kommt hinzu, dass oft mehr als nur das Ende vorgegeben ist. Bleiben wir bei der Vorgeschichte zu „Die Schatzinsel“: Silver verliert ein Bein und Pew sein Augenlicht, Ben Gun wird ausgesetzt, Billy Bones erhält die Karte, Flint stirbt, seine Mannschaft löst sich auf, ihre Mitglieder bleiben aber zum Teil in Kontakt, etc.
    Man sieht: Wesentliche Eckdaten der Charaktere sind bereits vorgegeben. Egal, wie kreativ der Verfasser des Prequels ist, ihm sind im Grunde die Hände gebunden. Alles, was ihm bleibt, ist bestehende Punkte miteinander zu verbinden. Das ist deutlich weniger erfüllend, als eine Handlung selbst zu entwerfen. Und es bereitet auch weniger Lesespaß.
  3. Neues verspätet einzuführen, schafft Probleme
    Eine gelungene Fortsetzung führt zwangsläufig neue Elemente ein: Weiterentwickelte Technologien, neuentdeckte Länder, weitere Charaktere, etc. Wer seinen Lesern lediglich Aufgewärmtes präsentiert, wird sie nicht begeistern.
    Dieser Forderung können sich auch Prequels nicht entziehen, stehen sie doch in der Produktionsgeschichte hinter dem Original. Dummerweise müssen diese neuen Elemente rechtzeitig wieder verschwinden, damit sie der ursprünglichen Handlung nicht im Wege stehen. Mit Charakteren hat man es als Autor da noch relativ leicht: Die lässt man einfach sterben. Was aber ist mit Technologien, Wissen und Ähnlichem? Am Ende bleibt kaum ein anderer Ausweg, als die alte Trumpfkarte „es geriet in Vergessenheit“ auszuspielen. Leider ist diese Ausrede inzwischen derart alt, dass sie mehr einem Klischee als einem Stilmittel entspricht.

Fazit: Es gibt sicherlich ökonomische Gründe, Sequels zu produzieren. Aus qualitativer Sicht sind sie jedoch sinnlos.

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