Nun, da sich die aktuell nach wie vor grassierende COVID-19-Pandemie zumindest offiziell ihrem Ende nähert, sind Rückblicke durchaus angebracht. Wie viele Katastrophen, förderte auch diese Seuche das Beste (beispielsweise der unermüdliche Einsatz von Pflegekräften) oder Schlechteste vieler Institutionen (etwa gewisse Maskendeals) zu Tage. Der wissenschaftliche Betrieb stellt keine Ausnahme dar. Neben spektakulären Errungenschaften, wie der Entwicklung der mRNA-Impfstoffe, kam es zu einigen durchaus besorgniserregenden Fällen. Anhand dreier Beispiele möchte ich die dunklen Seiten des modernen Forschungswesens aufzeigen:
Ivermectin
Oft wird Rechtspopulisten die „Entdeckung“ der vermeintlichen antiviralen Wirkung des Antiparasitikums zugeschrieben. Wer diesen „Siegeszug“ in Gang setzte, ist tatsächlich kaum zweifelsfrei feststellbar. Allerdings sprangen einige akkreditierte Wissenschaftler recht früh darauf auf: So erschien bereits im April 2020 ein Preprint, mit dem Titel „Ivermectin in COVID-19 Related Critical Illness“ in dem die Autoren vollmundig verkündeten, eine Behandlung schwerkranker Patienten mit Ivermectin würde deren Sterblichkeitsrate senken. Aus unbekannten Gründen wurde das Originaldokument inzwischen gelöscht, sein Inhalt ist aber nach wie vor einsehbar.
Aber gibt es nicht Experimente, die bestätigten, dass Ivermectin die Fortpflanzung von SARS-CoV-2 hemmt? Ja, die gibt es, doch die Sache hat einen Haken: Besagte Wirkung wurde an Zellen, jedoch nicht an Menschen festgestellt.
Hydroxychloroquin
Eindeutiger erweist sich die Suche nach dem Urheber des „Wundermittels“ Hydroxychloroquin. Verantwortlich hierfür ist ein französischer Wissenschaftler und inzwischen pensionierter Leiter eines Forschungsinstitutes. Die von seinem Team veröffentlichte Studie löste einen regelrechten Sturm aus. So groß war die Begeisterung, dass besagte Publikation innerhalb von nur 24 h den Peer Review passierte – ein Vorgang, der in der Regel Wochen, wenn nicht gar Monate dauert. Aber nicht nur Kollegen waren schnell überzeugt: In Indien ging die Zustimmung so weit, dass die Regierung ein Exportverbot über Hydrochychloroquin verhängte. Doch wie bei Ivermectin folgte auf die Begeisterung schnell Ernüchterung: Die Behandlung wirkt nicht und besagte Studie ist grob fehlerhaft. So wurden etwa jene Patienten, bei denen sich keine Verbesserung einstellte, aus dem Endergebnis gestrichen.
Colchicin
Im Jänner 2021 gab das Montreal Heart Institute (MHI) eine Presseaussendung heraus, wonach Colchicin angeblich die Hospitalisierungsrate um 25 % und die Todesrate gar um 44 % senke. Interessanterweise ging dieser Aussendung keine Publikation oder auch nur ein Vorabdruck voraus. Ein etwas eigentümliches Verständnis von wissenschaftlicher Kommunikation.
Nun ist Colchicin keine ungefährliche Substanz, sondern giftig (Herbstzeitlose). So giftig, dass ein möglicher Einsatz in der Chemotheraphie wieder verworfen wurde.
Wären die drei genannten Beispiele lediglich Therapievorschläge, könnte man darüber hinweg sehen. Es liegt in der Natur wissenschaftlicher Theorien, dass sie manchmal abenteuerlich klingen und die meisten von ihnen widerlegt werden. Doch in jedem dieser Beispiele gingen die Autoren einen Schritt weiter: Sie präsentierten (vermeintliche) Erfolge.
Es wäre falsch, aufgrund dieser „Fehler“ den wissenschaftlichen Betrieb zur Gänze abzulehnen. Gibt man jedoch nur den betreffenden Forschern die Schuld, macht man es sich gleichfalls zu einfach. Das Problem, das hat die Pandemie schonungslos aufgezeigt, ist ein systemisches. In der Praxis wird wissenschaftlicher Erfolg nämlich nicht (oder nur teilweise) anhand der Qualität der betreffenden Arbeiten gemessen. Wichtiger ist der sogenannte h-Index. Stark vereinfacht ausgedrückt, gibt dieser an, wie oft die Arbeiten eines Wissenschaftlers zitiert werden – sprich: Wie viel Aufmerksamkeit sie generieren. Spätestens seit der Pandemie sollte aber klar sein, dass dies fatale Anreize schafft.