Über 100 Jahre Alzheimerforschung: Außer Spesen nix gewesen?

Wissenschaftlicher Erfolg lässt sich auf verschiedene Arten definieren.

Ergebnisorientiert

Führt eine Forschung zu einem praxistauglichen Produkt – in diesem Fall einem heilenden Medikament? Im Bezug auf die Alzheimerforschung lautet die Antwort klar: Nein. Weder eine Heilung noch ein signifikantes Hinauszögern sind momentan möglich. Lediglich die Symptome lassen sich (zeitweise) lindern. Drogen sind jedoch Produkte einer anderen Forschung.

Ursachenfeststellung

Auch hier fällt die Antwort negativ aus. Sicher, Hypothesen bzw. Theorien gibt es jede Menge: Amyloid, Aluminium, etc. Auch wenn einige davon zwischenzeitlich viele Menschen überzeugen konnten, mehrten sich jedes Mal schnell die Zweifel.

Ein besonders tragisches, weil aktuelles Beispiel: Die Gingivitis-Hypothese. Forscher konnten in Tiermodellen zeigen, dass zwischen Zahnfleischentzündungen und der Entstehung der Alzheimer-Krankheit (AD) ein (scheinbarer) Zusammenhang besteht. Es wurde sogar ein Medikament auf Basis dieser Hypothese entwickelt und getestet. Das Ergebnis? Leider allzu bekannt.

Erkenntnisgewinn

Dieser Punkt ist schwieriger zu beantworten. Jedes Mal, wenn ein Experiment scheitert, oder eine Hypothese widerlegt wird, ist man streng genommen eine Spur schlauer. Manchmal muten die gezogenen Schlüsse jedoch etwas seltsam an.

Vor Kurzem erschien hierzu eine Presseaussendung des Beth Israel Deaconess Medical Center (BIDMC): Horrifying: 91% of Known Biological Pathways Linked to Alzheimer’s

Die zu Grunde liegende Publikation trägt einen etwas weniger, aber immer noch recht dramatischen Titel: Most Pathways Can Be Related to the Pathogenesis of Alzheimer’s Disease

Das Dokument wirft eine unangenehme Frage auf: Wenn die meisten Signal- bzw. Funktionswege mit der Entstehung einer Krankheit in Verbindung gebracht werden – heißt das, dass man den Hauptverursacher schlicht nicht finden kann? Es erinnert an einen Kriminalfall, bei dem die Polizei in alle Richtungen ermittelt, weil man den Hauptverdächtigen einfach nicht kennt.

Ja, die Erkenntnis, dass eine Krankheit viel komplexer ist als befürchtet, ist irgendwo ein Gewinn. Das Gleiche ließe sich aber über das Eingeständnis eines Scheiterns schreiben. Krebs etwa ist eine außerordentlich komplexe Krankheit. Dennoch sind zumindest einige Arten dieser Krankheit mittlerweile gut behandelbar.

Aufmerksamkeit

Jede Branche hat ihr dunkles Geheimnis. Das (nicht ganz so geheime) der Wissenschaft: Aufmerksamkeit (vor allem jener reicher Spender) wiegt oft mehr, als Qualität. So wird der (notorische) h-Index immer wieder zur Bewertung des Erfolges einer wissenschaftlichen Karriere herangenommen. Dabei ist er nur ein Maß dafür, wie häufig die Arbeiten eines Wissenschaftlers zitiert werden. Man beachte: Jene gefälschte Publikation, die ich vorhin erwähnte wurde über 2000 mal zitiert.

Nun, über mangelnde Aufmerksamkeit kann sich die Alzheimerforschung in Summe kaum beklagen. Nach einer über 100-jährigen Geschichte erscheint dies als Erfolgskriterium jedoch etwas dürftig.

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