Historisches
Am 25. November 1901 begegnete der Arzt Alois Alzheimer in der Frankfurter Heilanstalt jener Patientin, an der er später die nach ihm benannte Krankheit diagnostizieren sollte: Auguste Deter. Später bedeutete in diesem Fall post mortem. Daran hat sich über 100 Jahre später leider wenig geändert: Trotz einer steigenden Zahl an Tests und Biomarkern ist eine tatsächliche Bestätigung (sprich eine echte Diagnose) nach wie vor erst nach dem Tod des Patienten möglich. Selbst die Methode ist weitgehend die gleiche geblieben: Jene Veränderungen, die schon Doktor Alzheimer auffielen, werden auch heute noch als Hauptmerkmale der Krankheit angesehen. Gut, das an sich ist wenig beunruhigend. Schließlich kann man das Rad nicht neu erfinden.
Hintergründe
Eines der Kriterien ist das Vorhandensein sogenannter Amyloid Plaques. Dabei handelt es sich um Ablagerungen im Gehirn, die im Wesentlichen aus einer Ansammlung eines bestimmten Proteins, dem Beta-Amyloid – Englisch: amyloid beta (Aβ) bestehen. Streng genommen handelt es sich bei Aβ nicht um ein Protein, sondern um eine Gruppe solcher. Die einzelnen Vertreter sind zwischen 36 und 42 Aminosäuren lang, wobei Aβ42 und Aβ 40 die am häufigsten diskutierten Vertreter sind, da sie als besonders „neurotoxisch“ (weiter unten erfahrt ihr, warum ich das Wort in Anführungszeichen schreibe) gelten. Da man prinzipiell erst ab Ketten von 50 oder mehr Aminosäuren von Proteinen spricht, handelt es sich genau genommen um Peptide.
Aβ hat eine außerordentlich starke Tendenz, Aggregate zu bilden. Jeder, der schon einmal mit einem der Proteine / Peptide gearbeitet hat, kann dies bestätigen. Es ist fast unmöglich, einzelne Moleküle zu isolieren, da sie sofort miteinander verklumpen. Diese Eigenschaft lässt Aβ aus medizinischer Sicht in keinem guten Licht erscheinen. Folgte man also Occam`s Razor, so wäre das Vorhandensein von Aβ ab einer bestimmten Konzentration nicht bloß ein Diagnosekriterium, sondern sogar die Ursache der Alzheimer-Krankheit (AD). Stark vereinfacht ausgedrückt gingen weite Teile der Medizin auch genau diesen Weg. Die Amyloid-Hypothese war geboren. Natürlich gab es von Anfang an Skeptiker. So wurde angemerkt, dass besagte Plaques auch in Menschen vorkommen, die nicht an AD erkranken. Auch sind die Plaques nicht die einzigen Veränderungen im Gehirn. So gibt es etwa auch noch sogenannte Alzheimer-Neurofibrillenbündel, auf Englisch Neurofibrillary tangles (NFTs), welche aus einer degenerierten Form des Tau-Proteins bestehen. In Summe erhielt Aβ jedoch die größte Aufmerksamkeit.
Rückschläge
Konsequenterweise wurde eine Reihe von Medikamenten entwickelt, die genau hier ansetzen. Oft sind es Antikörper, die die Plaques oder Aβ selbst binden und in manchen Fällen tatsächlich zu deren Eliminierung führen. Es gibt nur ein kleines Problem: Es zeigt sich keine oder nur eine äußerst geringe (vernachlässigbare) heilende Wirkung. Selbst dann nicht, wenn die Plaques selbst reduziert werden konnten. Der monoklonale Antikörper Aduhelm von Biogen erhielt zwar die Zulassung für den US-Markt im April 2022. Allerdings war seine tatsächliche Wirkung gering. So gering, dass die Europäische Arzneimittel-Agentur( EMA) ihn nicht für Europa zuließ.
Provokantes Fazit: Medikamente auf Basis der Amyloid-Hypothese funktionieren nicht.
Ein Betrugsverdacht
Als wären diese Erfahrungen nicht niederschmetternd genug, steht nun auch ein Betrugsverdacht im Raum. Eine Publikation aus dem Jahre 2006 schien die Amyloid-Hypothese zu untermauern. Darin wurde eine Unterart von – Aβ*56 – vorgestellt. Aber … Weiter oben hieß es doch, es gäbe nur Aβ36 – 42?
Tja, hier kommt der Betrugsverdacht ins Spiel. Niemand konnte die Ergebnisse der Publikation reproduzieren. Schlimmer: Datenanalysten fanden Spuren möglicher Bildbearbeitungen in der Publikation (gleiche Hintergrundsignale bei verschiedenen Bildern, Copy-and-Paste -Trennlinien, etc.). Aβ*56 scheint Photoshop entsprungen zu sein. Leider ist diese Publikation nicht die einzige des Erstautors, in der Spuren möglicher Datenmanipulation gefunden wurden.
Wer meint, dieser Betrug hätte eigentlich vor seiner Veröffentlichung auffallen müssen, hat recht. Doch die Publikation schaffte es durch die Kontrolle des peer review und wurde über 2000 Mal zitiert.
Fazit
Sicher, die Amyloid-Hypothese ist älter als diese Publikation. Aber eine Idee, die einem Teil ihrer Popularität einem (scheinbaren) Betrug verdankt trägt schon einen gewissen Makel.
Wenn auch praktisch nichts dabei herauskommt (kein funktionierendes Medikament), ist es höchste Zeit, sich nach Alternativen umzusehen. Frei nach Sokrates, beinhaltet dies, sich einzugestehen, dass man keine wirkliche Erklärung hat. Mehr dazu in einem anderen Beitrag.
Wer sich jetzt schon mehr in das Thema einlesen will, empfehle ich (wie schon so oft) den ausgezeichneten Beitrag von Derek Lowe.
1 Antwort zu “Ist die Amyloid-Hypothese der Alzheimer-Krankheit tot?”