Als Inspirationsquelle für diese Kurzgeschichte diente mir der ausgezeichnete Blog „For Better Science“ von Leonid Schneider.
„Nun, Herr Moreaux“, begann Donald Baker zu sprechen und faltete die Hände zu einem Dach. „Diese Situation ist wirklich ungewöhnlich.“
„Ich weiß.“ Moreaux lächelte selbstbewusst.
„Sie haben noch nie in meiner Zeitschrift publiziert. Dennoch lade ich Sie hier in mein Büro ein.“ Baker fixierte den jungen Mann vor sich mit einem durchdringenden Blick. Seine rahmenlose Brille war wie ein Zielfernrohr auf Moreaux gerichtet. „Sie verdanken Ihre Anwesenheit ausschließlich der ausdrücklichen Empfehlung des Editors. Ich hoffe, Sie wissen dies zu schätzen.“
„Es ist vorteilhaft für uns beide.“ Moreauxs Lächeln wurde breiter.
„Diese Entscheidung überlassen Sie bitte mir.“ Mahnend hob Baker den rechten Zeigefinger. „Nun denn…“ Er wandte seinen Blick von Moreaux ab und griff nach einem Dokument auf seinem Schreibtisch. „Devastatin – A novel artificial protein that inacitvates methicillin-resistant Staphylococcus aures (MRSA)“, las er vor. „Große Worte“, sagte er und verschränkte seine Hände erneut zu einem Dach. „Es besteht großer Bedarf für eine zuverlässige und verträgliche Methode, multiresistente Keime zu inaktivieren.“ Demonstrativ stütze er seine Ellbogen auf der blank polierten Schreibtischplatte ab.
„Natürlich.“ Statt unter seinem Blick zurückzuweichen, lehnte sich Moreaux Baker entgegen. „Mit kleinen Worten verdient man sich nicht die Aufmerksamkeit einer so angesehenen Fachzeitschrift, wie der Ihren.“ Er nickte dem Herausgeber spöttisch zu.
Baker kniff die Augen zusammen, rührte ansonsten aber keinen Muskel. „Der Editor erwähnte, Sie seien sehr selbstbewusst“, sagte er mit einem wahrnehmbaren Grummeln in der Stimme. „Er meinte auch, von Seiten der beiden Begutachtern gäbe es keinen Einwand. Er schnaubte kurz. „Keinen Einzigen.“
„Das ist doch gut, oder?“ Moreaux zuckte mit den Schultern.
„Etwas zu gut“, mahnte Baker. „Vollmundige Titel rufen immer Skeptiker auf den Plan. Skeptizismus ist die Seele der Wissenschaft.“
„Publikationen sind die Seele der Wissenschaft“, verbesserte Moreaux. Jetzt war er es, der den Zeigefinger hob.
Bakers Augen verengten sich zu zwei Schlitzen, aus denen nur noch die Pupillen leuchteten. „Nun gut“, raunte er. „Wenn die beiden Begutachter keine Einwände haben, dann lassen Sie mich Ihnen ein paar Fragen stellen.“ Baker bleckte die Zähne. Moreaux nickte nur lächelnd.
„Ihr De-va-sta-tin“, er zog das Wort skeptisch in die Länge, „wird in einem Puffer mit verdächtig hoher Fluoridkonzentration gelöst. Eine, die in der Regel zur Denaturierung eines Proteins führt. Von der möglichen Giftigkeit für den Anwender ganz zu schweigen.“
„Das muss mir erst jemand beweisen.“ Moreaux winkte ab.
„Wie bitte?“ Bakers Kopf zuckte nach hinten.
„Ich sagte, so lange niemand erfolglos versucht hat, meine Experimente zu wiederholen, haben meine Aussagen Gültigkeit.“
„Wollen Sie, dass ich Sie hier und jetzt rausschmeiße?“ Bakers Kopf wurde rot.
„Bitte nein.“ Moreaux hob abwehrend die Hände. „Sie haben einen Teil Ihrer wertvollen Zeit geopfert, um mich zu empfangen. Da wäre es doch besser, dass Sie sich meine Erklärung anhören, bevor Sie mich rausschmeißen. Sonst war Ihr Aufwand umsonst.“
„Sie…“, grummelte Baker. Auf seiner Schläfe begann eine Ader hervorzutreten.
„Ich bitte Sie, ich kann alles stichhaltig erklären.“ Moreaux zog reumütig den Kopf ein. „Bitte entschuldigen Sie, wenn ich zu selbstbewusst war. Uns jungen Menschen wird immer erzählt, dass Selbstvertrauen die Basis von Erfolg ist.“
Baker nahm die Ellbogen vom Tisch und lehnte sich weit in die hohe Lehne seines Ledersessels zurück. „Gut“, murmelte er. „So gefallen Sie mir schon besser. Also los.“ Er sah auf seine Uhr. „Ich gebe Ihnen 2 Minuten.“
„Gerne.“ Moreaux streckte seinen Hals. „Sie haben ja sicherlich vom Schön Skandal gehört“, begann der junge Mann zu erzählen. Baker nickte stumm. Der Name Schön war einst nur Physikern ein Begriff gewesen, doch inzwischen kannte jeder Wissenschaftler seinen Namen. Seine Tragödie. „Seine Publikationen waren noch viel vielversprechender als meine. Vor allem, weil er so viele sensationelle Dinge entwickelt hat. Oder behauptet hat zu entwickeln. Leider ließen sich seine Ergebnisse nicht wiederholen und so flog er auf. Was hätte Herr Schön also besser machen können? Nun, zum einen hätte er nur Dinge publizieren können, die tatsächlich funktionierten. Aber das war nicht möglich. Seine Publikationen waren eben deshalb so sensationell, weil niemand sonst so etwas zu Wege brachte. Also bleibt nur die zweite Möglichkeit: Sicherzustellen, dass niemand dieExperimente wiederholen kann. Wie erreicht man das? Ganz einfach, indem man eine so komplizierte Methodik wählt, dass sie niemand exakt kopieren kann. Zum Beispiel in dem man mit Chemikalien hantiert, die den Kollegen zu gefährlich sind.“ Moreauxs Augen bekamen einen seltsamen Glanz. „Etwa hochkonzentrierte Flusssäure.“
„Die Sie noch dazu selbst hergestellt haben.“ Baker legte sein Kinn auf dem Giebel seines Fingerdaches ab. Er holte tief Luft. „Und anschließend destilliert.“
„Offiziell, um jegliche Art von Verunreinigung auszuschließen. Wenn jemand einfach Flusssäure kauft, kann ich jederzeit behaupten, seine Chemikalie wäre verunreinigt.“
Baker schloss für einen Moment die Augen. Er kannte die Bilder jener, die Flusssäure unterschätzt hatten. Grauweißlich verblichene Haut, wie ausgewaschen, das darunter zerstörte Gewebe kaum verdeckend. Stummel, wo einst Finger gewesen waren. Er riss die Augen wieder auf und besah Moreaux von Kopf bis Fuß. Sein Gesicht war jugendlich frisch, die Haut an den Händen gesund. Baker fragte sich, ob dieser selbstbewusste junge Mann so gut war, wie er behauptete, oder, ob sich unter dem taillierten Sakko und dem bläulich glänzenden Hemd nicht die ein oder andere Narbe verbarg. Er spürte, wie eine Gänsehaut seinen Rücken entlang kroch. „Wenn Sie schon so furchtlos sind“, spottete Baker, wie um sich selbst abzulenken, „warum haben Sie sich dann mit hochkonzentrierter Flusssäure zufrieden gegeben? Warum nicht gleich ein Chlorflourid?“
„Habe ich auch kurz gedacht.“ Moreaux nickte scheinbar nachdenklich. „Aber das wäre nicht glaubwürdig. Ich musste eine Chemikalie finden, die extrem gefährlich ist, für die es aber noch einen plausiblen Verwendungsgrund gibt. Ein Fluoridpuffer, hergestellt aus Flusssäure, sollte passen.“ Er zuckte mit den Schultern. „Aber ich bin für Alternativvorschläge offen.“
Baker entfaltete seine Hände und ließ sie krachend auf die Holzplatte fallen. „Sie haben sich das alles bloß ausgedacht? Wollen Sie mich verspotten?“
„Aber nein. Nein.“ Moreaux lehnte sich zurück.. „Darum geht es doch. Ein Experiment, das niemals stattgefunden hat, kann auch nicht nachgemacht werden.“
„Das ist doch verrückt.“ Baker schüttelte heftig den Kopf.
„Sagen Sie mir, wo der Fehler liegt.“ Der junge Mann sah den Herausgeber fordernd an.
Statt zu antworten, fuhr sich Baker mit der Zunge über die Lippen. Moreaux nahm seinen Blick nicht von ihm. „Ein Fluorchemiker“, stieß Baker schließlich hervor, „kann Ihr Experiment sehr wohl überprüfen. So gefürchtet ist die Substanz auch wieder nicht.“
„Das stimmt grundsätzlich. Nur, wer mit so gefährlichen Substanzen arbeitet, ist selten im Bereich der Biochemie tätig. Wie Sie richtig sagten: Eine hohe Fluoridkonzentration schädigt Proteine. Außer natürlich Devastatin.“
„Aber wer sagt denn, dass sich ein Biochemiker nicht mit einem Fluorchemiker zusammentut?“ Baker hatte seine Hände wieder vom Tisch genommen. Statt ein Dach mit ihnen zu formen, massierte er aber seine Schläfen.
„Zwei völlig fachfremde Experten arbeiten an einem Projekt zusammen und teilen ihr Wissen? Und dass, ohne einen großzügigen Finanzier?“ Moreaux machte eine wegwischende Geste.
„Wenn Ihre ‚Idee‘“, Baker sprach das Wort gequält aus, „hält was Sie verspricht, ist sie sehr viel Geld wert.“
„Bis man es geschafft hat, sie auf Herz und Nieren zu überprüfen, ist das Patent längst verkauft. Und wir sind reich“, entgegnete der junge Mann, ohne mit einer Wimper zu zucken.
„Wir…“, murmelte Baker. „Ist das der Grund, wieso die Begutachter keine Einwände anmerkten?“
„Fürs erste habe ich nur angeboten, jeweils 10 Publikationen Ihrer Wahl in das Literaturverzeichnis mit aufzunehmen. Sie meinten, Sie müssten das noch mit dem Editor besprechen. Und der meinte…“
Baker schüttelte wortlos den Kopf. Er zog an einer Schublade an seinem Scheibtisch. Eine Karaffe, gefüllt mit einer dunkelbraun schillernden Flüssigkeit, kam zum Vorschein. Baker stellte sie zusammen mit zwei Gläsern zwischen sich und Moreaux. „Den brauchen wir jetzt beide“, hauchte er und füllte die beiden Trinkgefäße.
„Zum Wohl.“ Dankbar griff Moreaux nach seinem Glas und leerte es schnell. „Sehr gerne.“ Baker schenkte zügig nach.
„Noch einmal zum Mitschreiben“, sagte der Herausgeber. „Sie wollen also eine Publikation in einem der angesehensten Fachzeitschriften herausbringen. „Alles darin ist rein erfunden, aber so geschrieben, dass es de facto nicht überprüft werden kann.“ Er machte eine Pause und griff nach seinem Glas. Zögerlich nippte er an dessen Inhalt. „Woher wissen Sie, dass die Ergebnisse stimmig sind? Sie sind nicht der erste, der sich so etwas traut.“
„Ich weiß, ich weiß“, pflichtete Moreaux bei und nahm einen neuerlichen Schluck. „Ich habe mit Stefanie Buck gesprochen.“
„Der Fälschungsdetektivin?“ Bakers Augen weiteten sich. Er griff erneut zur Karaffe „Hier, Sie werden noch einen brauchen.“
„Ja, sie ist hoffnungslos ehrlich.“ Moreaux ließ sich nicht zweimal bitten. „Und naiv. Alles, was ich tun musste, war sie nach den häufigsten Zeichen für Fälschungen zu fragen. Sie hat ohne zu zögern geantwortet. Wussten Sie, dass die meisten bloß Teile von passenden Bildern in weniger gelungene hinein kopieren?“ Mit Schwung setzte er sein Glas auf der Tischplatte ab. „Pha, Amateure.“
„Und Sie“, sagte Baker und füllte nach, „haben sich noch an keine andere Fachzeitschrift gewandt?“
„Nein nur an Sie.“ Gierig umschlossen Moreauxs Finger sein Trinkgefäß.
„Es weiß, also sonst niemand von dem Projekt?“, erkundigte sich Baker.
„Nur die Begutachter und der Editor.“
„Und die arbeiten alle für mich“, raunte der Herausgeber. Ein schiefes Lächeln huschte über sein Gesicht. Im nächsten Moment presste er jedoch streng die Lippen aufeinander. Mit einer schnellen Bewegung entzog der Moreaux sein Glas. „Hey, was…?“, entfuhr es dem verhinderten Trinker.
„Sie haben mich genug Zeit und Whiskey gekostet, Sie Betrüger!“ Baker erhob sich ruckartig aus seinem Sessel und baute sich vor seinem Besucher auf. „Verschwinden Sie, sonst lasse ich die Polizei rufen!“
„Aber, aber…“ Moreaux sank in sich zusammen.
„Raus!“, bellte Baker. Unfähig ein Wort zu entgegnen, schlich der junge Mann gehorsam zur Tür. Der Herausgeber sah ihm mit strengem Blick nach, wie ein Wachhund, der einen Eindringling verjagte. Er verweilte mehrere Minuten drohend vor der Tür. Erst, als er sich sicher war, dass Moreaux auch tatsächlich gegangen war, setzte er sich erneut an seinen Schreibtisch. Entspannt seufzend, drückte er eine Taste auf seinem Telefon. „Verbinden Sie mich bitte mit Professor Conner. Ich habe etwas Dringendes mit ihm zu besprechen“, wies er die Person am anderen Ende der Leitung an.