Infektiöse Antikörper?

Wie gut geschützt sind Menschen, welche eine Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus überstanden haben? Diese Frage beschäftigt zurzeit Immunologen (und nicht nur die) rund um den Globus. Eine Gruppe Wissenschaftler rund um den Wiener Immunologen Rudolf Valenta weiß Ernüchterndes zu berichten: Nur 60 % der untersuchten Genesenen bildeten Antikörper, welche vor einer weiteren Infektion schützen. Aber hier hören die schlechten Nachrichten leider noch nicht auf: Von den übrigen 40 % bildet die Hälfte (sprich 20 %) Antikörper, welche eine weitere Infektion verschlimmern würden.

Sogenannte „Infektionsverstärkende Antikörper“ sind an sich nichts vollkommen Neues. Berüchtigt etwa ist ihr Auftreten im Zusammenhang mit dem Denguefieber. Was unterscheidet aber einen „gewöhnlichen“ von einem „infektionsverstärkenden“ Antikörper? Um es stark vereinfacht (und dementsprechend ungenau) auszudrücken: Im Falle einer funktionierenden Immunantwort „haftet“ der Antikörper an einer empfindlichen Stelle des Erregers und blockiert diese somit. Bildlich kann man sich ein Stück Klebefolie vorstellen, dass den Stecker eines USB-Sticks zudeckt. Das Speichermedium kann so nicht mehr an einen PC angeschlossen werden. „Infektionsverstärkende Antikörper“ binden dummerweise an einer nichtkritischen Stelle des Ziels. In diesem Fall würde unsere Klebefolie statt auf dem Stecker lediglich am Plastikgehäuse des Sticks hängen bleiben. Das Speichermedium kann immer noch problemlos angeschlossen werden. Aber es kommt noch dicker: Ein gebundener Antikörper wird von bestimmten Immunzellen erkannt. Das ist prinzipiell gut so, denn es erlaubt der Zelle, das gebundene Ziel zu schlucken und zu verdauen. Manche Viren können sich aber in Immunzellen prächtig vermehren. Der gebundene Antikörper verschafft dem Virus also eine zusätzliche Fortpflanzungsmöglichkeit. Da sein normaler „Stecker“ immer noch aktiv ist, kann es an sein eigentliches Ziel nach wie vor andocken. Zusätzlich erhält es nun „Zugriff“ auf eine „übereifrige“ Immunzelle. In weiterer Folge vermehrt sich das Virus mit „infektionsverstärkendem Antikörper“ also schneller, als ohne.

Wäre im Extremfall auch ein direkt infektiöser Antikörper möglich? Also einer, der eine Infektion selbst auslöst? Proteine, welche selbst Krankheitserreger darstellen sind (leider) nichts Unbekanntes. Die Rede ist von den Prionen (proteinaceous infectious particle). Diese können sich vermehren, indem sie gesunde Proteine in Kopien ihrer selbst „umwandeln“. Dadurch „überschwemmen“ sie den betroffenen Körper einerseits mit für ihn nutzlosen Proteinen, andererseits entziehen sie ihm wertvolle Bausteine (die Gehirne der Betroffenen weisen regelrechte Löcher auf – ähnlich wie die eines Schwammes). Wären Antikörper dazu ebenfalls in der Lage? Die gute Antwort, gleich vorweg: Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht. Wie wir weiter oben gesehen haben, kann ein fehlerhafter Antikörper das Immunsystem aber in die falsche Richtung lenken. Im schlimmsten Falle könnte er das Immunsystem dazu veranlasst wird, weitere fehlerhafte Antikörper zu bilden. Leider ist diese Vorstellung weniger weit hergeholt, als man meinen möchte. Bei vielen Autoimmunerkrankungen produziert der Körper tatsächlich Antikörper gegen Bestandteile seiner selbst. Die Ursachen hierfür sind noch nicht restlos geklärt. Es wäre durchaus denkbar, dass zumindest in manchen Fällen ein falscher Antikörper die Bildung eines noch schlimmeren begünstigt, oder sogar verursacht. Glücklicherweise sind Autoimmunerkrankungen (soweit bekannt) nicht ansteckend. Prionen dagegen sind übertragbar – auch wenn dazu mitunter das Verspeisen eines Infizierten notwendig ist.

Wie sähe es mit „bösartigen“ Antikörper aus? Nun, IgA (ein Antikörpertyp) findet sich unter anderem in Tränen und im Speichel. Hier ist eine Übertragung leicht vorstellbar. Sollte ein derartiger neuer Krankheitserreger aber tatsächlich einmal auftauchen, so wäre die Menschheit ihm allerdings nicht schutzlos ausgeliefert. Medikamente, welche das Immunsystem drosseln, würden zumindest die Symptome einer solchen Krankheit bekämpfen. Hoffen wir trotzdem, dass es nicht soweit kommt.

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