Fragt man Zellbiologen nach der ältesten Zelllinie erhält man vermutlich oft „HeLa“ zur Antwort. Tatsächlich war dies auch der erste Treffer, als ich per Google das Internet nach „oldest cell line“ durchsuchte. Für menschliche Zellllinien trifft dies auch zu. „HeLa“, abgeleitet von Henrietta Lacks geht zurück auf das Jahr 1951. Damals wurden besagter Frau, der das Schicksal übel mitspielte, entsprechende Zellen eines Gebärmutterhalskarzinoms entnommen. Frau Lacks selbst starb kurze Zeit später an ihrer Krankheit – ohne jemals darüber informiert worden zu sein, was mit den ihr entnommenen Zellen passieren sollte. Nach dem Erfolg der Zelllinie wurden ihr allerdings zumindest einige posthume Ehrungen zu teil. Eine davon bestand darin, aus zellbiologischer Sicht Unsterblichkeit erlangt zu haben. Schätzungen bezüglich des Gesamtgewichts, der aus der ursprünglichen Gewebeprobe gezüchteten Zellen gehen in die Millionen Tonnen (Wikipedia sprich von 50 Millionen). Ein Ende dieses Wachstums ist nicht in Sicht. Manche Quellen gehen davon aus, dass bis zu 20 % aller existierenden Zelllinien von HeLa infiltriert wurden.
Den Titel „älteste Zelllinie überhaupt“ hat sich jedoch eine andere Art von Krebs gesichert: Der „Canine transmissible verneral tumor“, auch „Sticker-Sarkom“ genannt. Die Maximalschätzung des Alters dieser Zelllinie beträgt stolze 11 000 Jahre!
In meinem letzten Beitrag habe ich mich mit der Frage beschäftigt, ob sich Krebszellen, wie parasitäre Einzeller verhalten bzw. zu diesen entwickeln könnten. Möglicherweise ist die Natur hier meiner Kreativität einen Schritt voraus.
Wie die Autoren dieser höchst interessanten Publikation anmerken, könnte das Sticker-Sarkom im Laufe seiner Geschichte bis zu 30 000 Mal erfolgreich einen neuen Wirt infiziert haben. Während dieses Zeitrahmens kam es zu einer ganzen Reihe von Mutationen, sodass sich das Genom der Krebszellen inzwischen sehr deutlich von dem eines Hundes unterscheidet. Möglicherweise ausreichend, um als eigene Spezies zu gelten? Über diese Frage wird jedenfalls bereits diskutiert. Auf Researchgate kam man zu dem Schluss, dass dem noch nicht der Fall sein dürfte. Eine neue Spezies müsste nämlich in der Lage sein, sich ohne die Ursprungsspezies, aus der sie entstanden ist, vermehren zu können. Vorläufig befällt das Sticker-Karzinom glücklicherweise nur Hunde. Das aber könnte sich ändern.
In seinen bisherigen 11 000 Jahren hat die Zelllinie jedenfalls bereits einige bemerkenswerte Veränderungen durchgemacht. Im Kampf gegen das hündische Immunsystem etwa hat der Krebs die Fähigkeit erworben, dieses zu schwächen, indem er eine seiner Hauptkomponenten schädigt – die sich aus Monozyten entwickelnden dentritischen Zellen, um genau zu sein.
Die vorhin erwähnte Publikation traut dem Tumor aber noch deutlich mehr zu: Da dieser Krebs hauptsächlich durch Geschlechtsverkehr übertragbar ist, könne er das Sexualverhalten der infizierten Hunde vielleicht beeinflussen – ja sogar stimulieren. Von manchen Parasiten ist bekannt, dass sie das Verhalten ihres Wirtes gezielt verändern. Ein Krebs, der dazu in der Lage wäre, wäre allerdings eine ziemlich erschreckende Neuerung.
Unabhängig davon erlaubt das Beispiel des Sticker-Syndroms einen interessanten Blick auf die Entstehung der Arten. Dass Mutationen hier eine Schlüsselrolle zukommen, gilt als erwiesen. Jene, die den Vorgang der Karzinogenese in Gang setzen, lassen Arten aber für gewöhnlich verschwinden und nicht entstehen. Für gewöhnlich.
Die Spezies, die aus dem Tumor kam
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