Dank Derek Lowes ausgezeichnetem Blog bin ich auf eine höchst interessante Publikation gestoßen. Darin wird eine bereits etwas ältere, aber immer noch höchst spannende Theorie unter die Lupe genommen: Krebs entstehe durch einen Verlust des multizellulären Charakters. Mit anderen Worten: Krebszellen gehen evolutionär den umgekehrten Weg. Statt vom Einzeller zum Mensch, entwickeln sie sich in die entgegengesetzte Richtung. Demnach wäre ein Tumor weniger eine Gewebewucherung, sondern vielmehr eine Kolonie – ähnlich wie sie Bakterien auch bilden. Tatsächlich lassen sich Krebszellen recht einfach kultivieren und vermehren – zwar nicht ganz so einfach wie Bakterien, aber immerhin. Folgt man dieser Logik, kommt man unweigerlich zu dem Schluss, dass Krebszellen wie „gewöhnliche“ Krankheitserreger auch, ihren Wirt verlassen können, um sich in einen neuen einzunisten. Leider bewegen wir uns hier noch nicht im Bereich der Sci-Fi. Tasmanische Teufel etwa sind von einer Krankheit betroffen, die inzwischen ihren Bestand akut gefährdet: Es handelt sich dabei um eine Krebsart, welche sich tatsächlich wie eine Seuche ausbreitet. Überträger ist allerdings nicht ein Virus. Die Krebszellen selbst „wandern“ von Tier zu Tier. Grundsätzlich wäre eine solche Krankheit beim Menschen auch denkbar. An infektiösen Einzellern zumindest herrscht leider kein Mangel. Einer der wahrscheinlich „erfolgreichsten“ unter ihnen ist Plasmodium (genauer gesagt, bestimmte Vertreter dieses Genus), der Erreger der Malaria. Er selbst verursacht soweit bekannt keine Tumorbildung. Allerdings gibt es mindestens eine Krebsart, deren Entstehung er begünstigt und in manchen Fällen sogar erst ermöglicht. Ab hier fangen wir glücklicherweise an, uns wieder in Richtung der Sci-Fi zu bewegen. Eine Krebsart, die sich wie Malaria durch Moskitostiche verbreitet wäre allerdings unglücklicherweise tatsächlich denkbar. Noch schlimmer aber wäre eine Ansteckung durch kontaminiertes Trinkwasser. Glücklicherweise machte gerade die Krebsforschung in den letzten Jahren rapide Fortschritte. Die Menschheit stünde einer derartigen neuen Krankheit (selbst wenn es sie gäbe) nicht schutzlos gegenüber. Der Gedanke an Krebszellen, die sich wie Viren vermehren ist furchterregend – unteranderem, weil er nicht ganz von der Hand zu weisen ist.
Man könnte diese Idee natürlich noch gedanklich erweitern. Wenn es sich bei Krebszellen weniger um entartete, als vielmehr um die Vorfahren menschlicher Zellen handelt – machte es dann nicht Sinn, sie als eigene Spezies anzusehen? Der Gedanke böte durchaus Stoff für die ein oder andere Horrorgeschichte: Ein urzeitlicher Parasit, durch ein paar unglückliche Mutationen wieder zum Leben erweckt, frisst seine Opfer bei lebendigem Leib auf. Die glücklichen Überlebenden können sich aber nicht in Sicherheit wiegen: Denn niemand kann sagen, wer bereits infiziert ist und wer nicht… Zugegeben, dieses Szenario klingt nach grausamen Schund/Trash. Wirklich neu ist die Idee auch nicht (ich wurde dazu aus einem Kommentar unter besagtem Blogeintrag inspiriert). Aber trifft das alles nicht auf die meisten Horrorfilme zu?
Interessanter Gedanke! Besonders spannend fand ich es über den Tasmanischen Teufel zu lesen, das werde ich mir näher ansehen. Allerdings sehe ich ein Hindernis in der Theorie, dass sich die Zellen selbst parasitär verbreiten – dieselbe Eigenschaft die unter Anderem der Grund ist, dass sie vom Immunsystem so schwer / spät detektiert werden. Sie gelten als körpereigen, dh. exprimieren körpereigene Antigene. Diese Expression einer jeden Körperzelle ist auch das Problem warum Transplantationen so komplex sind und das Immunsystem supprimiert werden muss. Der Körper toleriert fremde Antigene nicht und hat hier viele, sehr effektive Mechanismen entwickelt. Sowohl Zellen die fremdes Antigen, als auch solche, die garkein Antigen exprimieren werden eliminiert. Da müssten schon neue, bisher nicht dagewesene Mechanismen der Immunsuppression entstehen, dass sich eine Krebszelle in einem fremden Körper durchsetzen könnte. Was übrigens wiederum für viele andere Bereiche wie zB eben der Transplantationsimmunologie aber auch gewissermaßen Autoimmunerkrankungen usw. ausgenutzt werden könnte.
Auf jeden Fall spannende Gedankenspiele, vielen Dank für den Beitrag! 🙂
Danke für die netten Worte! Das ist ein gutes Argument: Das menschliche Immunsystem sollte einen Transfer von Krebszellen zumindest ordentlich erschweren. Ich frage mich allerdings, wie die Sache aussieht, wenn Krebszellen ihren MHC 1 „loswerden“. Kommt es dann immer noch zu einer nennenswerten Immunantwort?
Soweit ich weiß, scheint es beim Menschen bislang nur durch verunreinigte Implantate zu einer Krebsübertragung gekommen zu sein. Allerdings sind die Empfänger in diesem Fall immunsupprimiert.
Die Tasmanischen Teufel scheinen durch geringe genetische Vielfalt (Inzest) geschwächt zu sein. Ich frage mich, in wie weit dies das Fortschreiten der Krankheit beeinflusst. Übrigens scheint es auch bei Hunden eine vergleichbare Krankheit zu geben: Das Sticker-Sarkom.
Soweit ich weiß werden Zellen denen MHC1 fehlt vom Immunsystem, genauer gesagt NK Zellen eliminiert da dieses Molekül mit inhibitorischen Rezeptoren dieser Zellen interagiert. Daher können im Normalfall weder Zellen mit fremdem MHC1, noch solche ohne diesem Komplex überleben.
Kontamination in immunsupprimierten Patienten macht natürlich Sinn. Auch das mit dem Tasmanischen Teufel scheint mir plausibel, dann wäre zwischen Selbst und Fremd ja kaum mehr ein Unterschied. Das wird z. B. auch bei der Parabiose in Labormäusen, die ja aufgrund von Inzucht praktisch ident sind, ausgenutzt.
Ich glaube, um dem Immunsystem in einem fremden „Host“ zu entkommen, müsste die Krebszelle entweder lernen, die dort üblichen Moleküle zu immittieren, neue inhibitorische Mechanismen entwickeln, oder Allianzen mit parasitären Formen eingehen, die entweder das Eine oder das Andere können.
Was ja vielleicht auch garnicht so weit hergeholt scheint, wenn man bedenkt, wie „erfindungsreich“ Krebs (leider!) ist.
Danke für die Aufklärung in Punkto Immunologie. Ja, zum Glück lässt sich das Immunsystem doch nicht ganz so leicht austricksen. Ich bin bei der Recherche zu dem Thema übrigens auf ein verwandtes Thema gestoßen – mehr dazu in meinem nächsten Beitrag.